Bei aller Verhältnismässigkeit kann ich es nicht lassen, Lacordaire zu zitieren, um das Thema dieses Artikels einzuleiten. Der Aphorismus des grossen Predigers erinnert uns daran, dass ohne das formell vom Gesetzgeber erlassene Gesetz, nur das Gesetz des Stärkeren siegen würde, eine in Anbetracht der Geschichte wenig beneidenswerte Alternative.
Die Normen für unseren Berufsstand, die vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA) festgelegt wurden, sind der rechtlichen Regulierung durch die öffentliche Hand nachgelagert und stellen ein Verfahren dar, welches die Verpflichtung zur Erfüllung eines anerkannten und vereinbarten Qualitäts- und Sicherheitsniveaus regelt. Diese freiwilligen Standards werden oft als Referenz zur Unterstützung des Gesetzes angeführt, obwohl sie nicht das Gesetz selbst sind.
Dennoch oder eben genau darum sind die SIA-Normen für uns aus vielen Gründen unverzichtbar: Sie kodifizieren Wissen, standardisieren die besten Lösungen, liefern grundlegende Methoden, beschleunigen die Einführung von neuen Technologien, legen Anforderungsrahmen fest, minimieren das Risiko von Unfällen und Fehlern und legen den technologischen Fortschritt in der Praxis fest. Aus ökologischer Sicht tragen sie auch zu einer rationelleren und wirtschaftlicheren Errichtung bei und führen zur Verbreitung berufsethischer Prinzipien.
Amstein + Walthert arbeitet aktiv mit dieser 1837 gegründeten Organisation zusammen, da sie für die Definition des Bauprozesses und die vertraglichen Grundlagen der Ingenieur- und Architekturaufträge von zentraler Bedeutung ist. Die SIA-Norm 108 ist für uns von besonderem Interesse: Sie regelt die schwierige Frage der Leistungen und der Vergütung von Ingenieuren und Ingenieurinnen, die in den Bereichen Gebäudetechnik, Mechanik und Elektrotechnik aktiv sind.
Ein weiteres wichtiges Thema: Im Dienste einer internationalen Kundschaft, insbesondere aus dem angelsächsischen Raum, sind Schweizer Architekten und Ingenieure regelmässig mit Vertragsgestaltungen ausserhalb der SIA konfrontiert. Für diese Bauherren ist es ein Segen, die Folgen von Unstimmigkeiten auf den Auftragnehmer (den Ingenieur) abzuwälzen, indem sie die rechtlichen Verbindlichkeiten der SIA ausschliessen. Diese Tendenz zu alternativen Vertragsformen im Baugewerbe, welche mit einem erheblichen Anstieg der Transaktionskosten und der Realisierungsfristen einhergeht, widerspricht dem Vertrauensverhältnis und den vom SIA vertretenen Werten, die ihrerseits Ausfluss der helvetischen Geisteshaltung sind.
Die spannende Arbeit in den Kommissionen hat im Sinne des SIA nur ein Ziel: «Ein hochkompetentes, interdisziplinäres Netzwerk zu bilden, das von dem Willen beseelt ist, einen qualitativ hochwertigen, nachhaltigen und zukunftsfähigen Lebensraum in der Schweiz zu gestalten». Wir unterstützen dies voll und ganz und ermutigen alle Akteure der Branche, dieses Prinzip weiterhin zu unterstützen. Nicht mehr als der Erflog der helvetischen Bauwirtschaft ist in dem Normenwesen der SIA begründet und bildet auch unsere Zunft. Indem wir unsere Grundsätze und Gepflogenheiten verteidigen, werden wir die auf Fairness und Achtung basierenden Prinzipien fortführen. Für eine visionäre und nachhaltige Bauwirtschaft.
Matthias Achermann
Geschäftsleiter A+W Genf