Martin Hitz ist selbstständiger Consultant. Im Interview mit A+W gibt er Antwort auf die Frage, wohin die Digitalisierung die Bauchbranche künftig bringen wird.
Sie waren viele Jahre operativ tätig und sind es jetzt beratend – wie fit sind die Branchenteilnehmer aus Ihrer ganz persönlichen Sicht?
Ich habe das Gefühl, sie sind fit für die Veränderung, aber sie sind nicht digital. Das Thema haben wir heute viel gehört, meine Generation ist nicht digitalisiert. Nur die Nutzung eines Handys ist noch lange keine Digitalisierung, und meist hört es beim darüber reden auf, und es zu machen ist dann ganz schwierig. Ich finde es problematisch, dass die Entscheidungsträger in dieser Branche überwiegend aus meiner Generation sind, und auch wenn sie es meinen, aber aus meiner Sicht sind sie nicht fit darin. Was ich gut finde: Sie sind offen für die Veränderung, das ist definitiv besser als vor zehn Jahren. Aber die Chefs müssten mehr Risiken in ihren Betrieben eingehen, müssten die Führung abgeben und mehr auf die Jüngeren hören. Das ist vielleicht ungewohnt, aber es braucht definitiv ein neues Denken. Und das heisst eben, dass die Entscheidungsträger bei Themen, die sie nicht mehr verstehen, die Entscheidung anderen überlassen müssen. Ich möchte mich da nicht ausnehmen. Wenn ich etwas nicht mehr beurteilen kann, wie soll ich da entscheiden? Also muss ich mich doch beraten lassen, und kann ich dann die Aufgaben nicht auch gleich abgeben
Wo glauben Sie, geht die Reise hin?
Es wird weiter gehen mit der Digitalisierung, in der Baubranche sowieso, aber auch sonst im Leben. Aber ich bin nicht ganz sicher, ob das auch alles gut ist, was wir machen. Oder anders gesagt: Müssen wir alles machen, was möglich ist? Ist alles gescheit, was bei Digitalisierung passiert? Ich glaube, der nächste Schritt ist herauszufinden, was wichtig und was tragend ist, auch für die Branche. Weil alles wird nicht gehen, was technisch möglich ist, und ist auch nicht sinnvoll.
Ich mache ein Beispiel aus dem Retail, wo ich lange zuhause war: Wenn Sie heute 40`000 Artikel zweimal am Tag ansteuern, um elektronisch den Preis zu wechseln, dann leben Sie unterdessen in einem Sog von Elektrosmog, der nicht mehr sinnvoll ist. Man macht das, weil man es kann, aber braucht es das wirklich? Dies ist ein branchenfremdes Beispiel, aber im Bau ist es ähnlich. Herr Muhm nannte das gute Beispiel mit den Modellen, die die Bauherren wollen. Ob sie aber all die Modelle, die sie heute wünschen, zum Schluss auch wirklich brauchen wollen und können – das muss man erst noch herausfinden. Ich glaube, es geht jetzt darum, abzuspecken, um zu sehen, was wirklich tragend ist für die Zukunft.
Das ist auch typisch Schweiz, es ist schwierig und die Ausbildung hinkt klar hinterher. Es gibt aber gute Beispiele in den Unternehmungen und sie müssen das «on the job» lernen. So schnell, wie das heute abgeht, das kann die Schule nicht leisten. Sie kann vielleicht die Basis vermitteln, aber alles andere ist muss im Berufsalltag gelernt werden – auch die Kompetenzen, die es braucht, um das Wissen zu teilen, die Verantwortungen und die Garantien. Durch das Aufbrechen des Silos hin zum Integralen, entstehen ganz neue Rollenbilder von denen, die bestellen und kaufen. Der Auftragnehmer kann zum Beispiel keine Garantien mehr geben, weil er ein Teil der Bestellung ist, aber am Schluss auch einen Teil der Daten nutzt. Man muss die Welt völlig aufbrechen, sonst wird es nicht funktionieren. Es braucht also noch sehr viele neue Modelle, nicht nur im Bereich der Planung, sondern auch im Vertragswesen, in der Zusammenarbeit mit den Verbänden (Stichwort SIA), aber auch im Bereich der Verantwortung und der Garantien. Und das auch bei den Bauunternehmungen, den GU und TU.
Wenn Sie als Bauherr Teil der Bestellung sind, dann sind Sie auch Teil der Verantwortung. Sie können nachher nicht die Risiken delegieren, was heute ganz oft gemacht wird, nach dem Motto: Ich bestelle mal, und der andere hat das zu liefern und ansonsten kann ich ihn strafen.
Steht Nachhaltigkeit nicht im Widerspruch zur Digitalisierung? Geht diese Entwicklung nicht auf Kosten der eigentlichen Ressourcen, des Individuums, des Menschen?
Das sehe ich auch so, es gibt wirklich diesen Widerspruch. Alles zu tun, was möglich ist, ist sicher nicht sinnvoll. Sehr viele Menschen sind damit überfordert, mit der ewigen Erreichbarkeit, verbunden mit einer extremen Entwicklung zur Oberflächlichkeit. Man geht nicht mehr in die Tiefe, ganz viel «Copy-Paste»: Man ändert das Datum und verwendet die Daten einfach wieder, ohne zu überlegen.
Ich finde, es hat sehr viele Widersprüche bezüglich der Digitalisierung, die der Mensch nicht auflösen kann. Die einen halten das gut aus und werden es auch weiterhin können, aber die anderen, die es nicht können, dürfen nicht auf der Strecke bleiben. Wir müssen Nischen schaffen.
Der schwierigste Teil ist die Ausbildung. Denn am Schluss ist nicht jeder ein IT-Freak und will es ja vielleicht auch gar nicht sein, dennoch unterliegt man heute dem Zwang, diese Geräte zu benutzen. Man wird von ihnen abhängig und steht auch sozial unter Druck. Hier muss man die Gesellschaftsnormen aufbrechen, dass die Freiheit, die es durch die Digitalisierung gibt, auch Grenzen haben darf, die das Individuum selbst bestimmt. Das, finde ich, ist der anspruchsvollste Teil.
Mein Credo ist ganz klar: Nicht alles tun, was möglich ist – das ist nicht sinnvoll. Sondern herausfinden, was sinnvoll ist, und dann ganz selbstbewusst dazu stehen, dass man gar nicht mehr möchte.